Leseprobe

 

Aus dem 1. Kapitel „Kopfschmerzen“:

 

Irgendwann stand ich dann vor einem älteren Herrn, der mir ein gerahmtes Stück Papier in die Finger drückte, und unser Shakehands wurde fleißig fotografiert. Ich hatte den besten Abschluss aller Gaststudenten in Wirtschaftswissenschaften des Jahrgangs hingelegt. Ehrlich gesagt hatte ich bis wenige Tage vorher nicht mal begriffen, dass ich mit der Nummer überhaupt durch war. In dem Jahr zog ich entschieden zu viel Koks, außer Tussen, Lines und Porsche Cabrio nahm ich die Welt nur recht marginal wahr.

Dieser Preis für den besten Gaststudenten gab mir mental ziemlich den Rest. Schließlich gab es in diesem Jahr alleine ein paar Dutzend ausländische Business-Sciences-Absolventen. Die Fragen, die ich mir stellte, waren: Wie zurückgeblieben muss man sein, um unter diesen Umständen so ein Studium nicht zu packen? Was für Trottel wurden jetzt als die Elite von morgen auf die Chefetagen losgelassen, wenn sie ernsthaft arbeiten mussten, um diesen Abschluss schlechter als ich zu schaffen?

Ich war nicht gut. Ich war wirklich nicht gut gewesen. Ich sonnte mich natürlich in der felsenfesten Überzeugung, der Beste sein zu können, aber was ich real gemacht hatte, war absoluter Dreck. Meine Vorlesungen stellte ich mir vor allem danach zusammen, welche Kommilitoninnen anzutreffen waren, machte mir halbherzig Notizen und schrieb ansonsten SMS an diejenigen, die diese tolle neue Technik auch schon benutzen konnten. Hausarbeiten ließ ich gerne von irgendwelchen Kollegen für ein paar Gramm vorschreiben und beschränkte mich darauf, das angelieferte Zeug mal so zwischen Uni-Tag und Abendprogramm oberflächlich zu überarbeiten. Bei den Klausuren war es so ähnlich, ab und zu weckte mich morgens irgendjemand per Handy, um mich daran zu erinnern, dass ich doch heute besser nicht zu spät kommen sollte. Dann saß ich da, kramte in meinem Gedächtnis, was ich mir in irgendwelchen Vorlesungen so an Notizen gemacht hatte, und faselte mir irgendwas zusammen.

Auf der anderen Seite sah ich natürlich, dass andere sich ernsthaft anstrengten. Insbesondere die Osteuropäer und Asiaten waren alle superfleißig und trugen ihre „Ich bin so dankbar für die einmalige Chance, hier sein zu können, es schafft mir eine unvergleichliche Lebensperspektive“-Attitüde ziemlich sichtbar vor sich her.

Ich war mir nie sicher, ob ich sie beneiden sollte, weil sie ein klares Ziel hatten, bewundern sollte für die Geradlinigkeit und Energie, mit der sie dieses Ziel verfolgten, oder verachten sollte, weil sie nicht rafften, wie banal das alles war.

Als ich den besagten besten Abschluss gemacht hatte, entschied ich mich endgültig für die Verachtung. Wahrscheinlich wären ihre Noten besser gewesen, wenn sie mit einer ähnlichen Einstellung wie ich an die Sache herangegangen wären.

Angst bekam ich nur bei dem Gedanken, dass solche Halbaffen jetzt als europäische Elite auf die Management-Etagen zu rannten. Wer sich für so ein Kasperle-Theater wie Wirtschaftswissenschaften an der Sorbonne anstrengen musste, hatte doch bewiesen, dass er bestenfalls als Sachbearbeiter einzusetzen war, oder? Im Umkehrschluss kam ich allerdings zu dem Ergebnis, dass außer einem „Ich in fleißig“ keiner das Zeug zu wirklicher Größe gehabt hatte – und ich hatte keinen Bock auf wirkliche Größe gehabt. Armes Europa.

Jedenfalls hatte ich plötzlich von Paris die Nase voll. Ich zog nach Deutschland zurück, hatte keinen Bock auf gar nichts und machte auch erst mal nichts, außer wie gehabt Party, Ficken, Koksen. Mein Alter fing gerade an, deswegen rumzunörgeln und wollte mir den Geldhahn zudrehen. Gut, das hätte mich gezwungen, wieder mehr zu modeln, war aber trotzdem unangenehm.
Das war dann der Moment, wo ein uninspirierter Insolvenzverwalter die heutige Fintelligence für Kleingeld verramschte, ich zuschlug und mir und dem Rest der Welt beweisen konnte, dass ich sowieso der Einzige mit dem Zeug zum Manager bin.

Ich bewies vor allem mir, dass ich absolut nicht das Zeug zum Manager habe. Meine einzige irgendwie erwähnenswerte Leistung in 15 Jahren Vorstandsvorsitz war wie gesagt, im richtigen Moment an diese norwegische Dissertation zu denken und meinen PR-Fuzzis den richtigen Auftrag zu geben. Circa acht Stunden in acht Jahren. Alles andere hätte jeder Sonderschüler genauso hinbekommen. Wahrscheinlich lag es wirklich nur an meinem Aussehen, dass sowohl meine Mitarbeiter als auch Presse und Konkurrenten so viel Respekt vor mir hatten.

Genau genommen war ich stinkfaul. Ich tauchte selten vor elf im Büro auf. Weil aber bei diesen ganzen megacoolen Start-up-Klitschen Transparenz großgeschrieben wird (… geholfen hat es den meisten nicht …), ist es auch bei Fintelligence üblich, dass jeder in den Kalender jedes anderen sehen kann, meinen inbegriffen. Und weil es nicht clever gewesen wäre, den Mitarbeitern 12- bis 14-Stunden-Tage als normal zu verkaufen, aber selber ein laues Leben zu demonstrieren, bestand Handlungsbedarf. Also trug ich für fast jeden Morgen gefakte Termine ein, oder ich schrieb was von „Rückfahrt aus xyz“ und erfand einen Auswärtstermin am Vorabend, obwohl ich ganz brav im heimischen Frankfurt geschlafen hatte. Es hat über Jahre hinweg nie jemand bemerkt.

Noch schlimmer war in diesem Zusammenhang allerdings das legendäre Interview, in dem ich gefragt worden war, ob ich als Manager ein Vorbild hätte.

„Ja“, hatte ich geantwortet, „Patrick Bateman.“ Der Journalist guckte etwas irritiert. Er konnte Patrick nicht zuordnen.

„Wall-Street-Star in den späten Achtzigern“, half ich ihm auf die Sprünge. Der Journalist glaubte, einen halbwegs geschickten Ausweg aus seiner misslichen Lage gefunden zu haben.

„Und was zeichnet Mister Bateman so aus, dass ein Mann wie Sie ihn als Vorbild nennt?“

„Oh, da gibt es zwei Punkte“, sagte ich. „Zum einen hatte er sehr innovative Ideen, unliebsamen Wettbewerb im Markt auszuschalten, vor allem aber war er imstande, im Job genau der Mensch zu bleiben, der er auch im Privatleben war.“

Die Passage ist in fast allen größeren Tageszeitungen wörtlich gedruckt worden. Blenden ist eben nicht alles. Man muss auch mit großer Lässigkeit Scheiße erzählen können.

Ansonsten vertrieb ich mir die Zeit in Meetings, die entweder gar nicht nötig waren oder auch ohne mich zum gleichen Ergebnis gekommen wären, oder traf mich, bevorzugt in angemessenen Restaurants, mit wichtigen Vorständen anderer wichtiger Aktiengesellschaften. Im Büro hing ich eigentlich mehr in privaten Chats, organisierte Frischfleisch, zockte ein wenig mit meinem privaten Aktiendepot oder schrieb Plattenkritiken für irgendwelche Blogs und Magazine.

Auswärtstermine legte ich immer so, dass eine Rückkehr ins Büro danach sinnlos war, und ließ beiläufig fallen, dass man ja auch in Hotelzimmern produktiv sein kann. Gelegentlich tauchte ich dann aber unangekündigt um 20.00 Uhr abends im Büro auf, erzählte was von „Meeting schneller als erwartet beendet“ und setzte mich alibimäßig hinter mein Notebook. Normalerweise guckte ich mir nur noch mal meine Aktien an, hing in Facebook oder las Nachrichten, aber zum einen beeindruckte ich alle mit meinem Fleiß, der mich als Vorbild erscheinen ließ, und zum anderen blieben deswegen immer alle Mitarbeiter bis 21.00 Uhr; sie wollten vermeiden, zu den Abwesenden zu gehören, wenn ich mal wieder einen Überraschungsbesuch lancierte.

Vielleicht war ich nicht mal faul. Der Laden lief ja und legte glänzende Zahlen hin. Vielleicht hatte ich einfach nicht mehr zu tun als das, was ich machte. Aber dann sah ich die Vorstände anderer Internet- und Finanzdienstleistungsbuden, die wirklich schufteten wie die Tiere. Waren die auch alle so zurückgeblieben wie mein Jahrgang an der Sorbonne? Ich hatte ja die Theorie aufgestellt, dass ich nur deswegen der Jahrgangsbeste geworden war, weil es insgesamt ein Katastrophenjahr gewesen sein muss, aber vielleicht war das nicht so.

Vielleicht waren diese indiskutabel peinlichen Asiaten und Osteuropäer auf einem Level mit den Vorständen, die ich kennengelernt hatte, und in dieser Liga braucht man dann halt 14 Stunden am Tag für die paar Banalitäten, die ich so nebenbei klärte. Keine Ahnung. Zumindest ein paar der Jungs machten einen halbwegs vernünftigen Eindruck, aber das konnte ja täuschen.

Wie gesagt, unter dem Strich war ich eine lebende Comic-Figur. Zu gut, zu schön, zu reich. Zu wahllos, zu ziellos, zu ideenlos. So ähnlich wie Donald Duck der ewige Loser ist, weil sich vor 80 Jahren Walt Disney überlegt hatte, dass der Typus gut in den Rahmen passte, war ich der ewige Winner, weil sich irgendwer oder -was überlegt hatte, dass dieser Typus jetzt gut in die Weltgeschichte passte.

Und so wie Donald am Anfang fast jeder Geschichte einfach seine Ruhe haben will und dann von Dagobert in irgendwelche Verwicklungen gestresst wird, passierten die Ereignisse auch in meinem Leben.

Ich hatte mir nicht ausgesucht, fünf Sprachen zu lernen. Ich hatte mir nicht mal wirklich ausgesucht, in Paris zu studieren – der Vorschlag kam von meinem Alten, und ich hatte nur der Hütte wegen ja gesagt. Ich hatte niemals geplant, einen Laden für verschissene Finanzdienstleistungen an den Start zu bringen, es war nur so, dass kein denkender Mensch diese Chance damals auslassen konnte. Ich hatte niemals etwas von dem erreichen oder haben wollen, worum mich alle beneideten.

Der Unterschied zwischen Donald und mir war ein ganz anderer. Donald wusste ganz genau, was er machen wollte, wenn man ihn nur lassen würde: Auf der Couch liegen, fernsehen, sich den Bauch vollhauen und gelegentlich Daisy ficken. Aber vor allem auf der Couch liegen. Ich konnte maximal sagen, dass ich das auch nicht wollte.

In der Zwischenzeit hatte ich mich wieder auf mein Bett gelegt und starrte die Decke an. Ich dachte an Maja und hasste sie zunächst mal. Ihre Antworten zu Gedanken wie diesen hätte ich jetzt überhaupt nicht ertragen können.

Ich bereute wirklich, diese dämliche Maulwurf-Lampe zertreten zu haben. Wenn sie jetzt noch da gewesen wäre, hätte ich sie so zerfetzt, dass es die Steckdose mit zerlegt hätte.